Aktivitätentisch von De Beleef TV auf die Probe gestellt
Gemeinsam am Tisch sitzen und sich mit Gesellschaftsspielen beschäftigen, Fotos und Videos betrachten und dabei einfach miteinander sprechen. Es klingt vertraut, ja nahezu familiär. Sitzen an dem Tisch jedoch nicht Eltern und die Kinder, sondern Menschen mit körperlichen, psychiatrischen oder demenziellen Beeinträchtigungen, die viele Jahre in einem Pflegeheim leben, haben Holztisch und Brettspiel schnell ihre Grenzen erreicht. Was liegt da näher, als einen interaktiven Tisch zu entwickeln. Ein Tisch, der viele dynamische Elemente vereint? Am besten noch ein Tisch, der allen Beteiligten Freude macht und dann auch noch ein großes pflegerisches Ziel umsetzt: die Ressourcenaktivierung.
Auf der Suche nach einer Antwort richtet sich der Blick erneut in die Niederlande. Von dort kommt De Beleef TV, ein Aktivitätentisch für Menschen mit Betreuungs- bzw. Pflegebedürftigkeit, der auch in Deutschland verfügbar ist. Es gibt ihn in zwei Varianten mit jeweils angepasster Software für Senioren sowie Menschen mit Behinderungen. Kürzlich machten im Gut Sannum, einer Einrichtung für Menschen mit körperlichen und psychiatrischen Beeinträchtigungen, die Bewohnenden gemeinsam mit den Betreuungs- und Pflegekräften im Rahmen einer Probewoche den Realitätscheck. Dieser hatte es in sich, denn hier verbringen erwachsene Menschen aller Altersstufen ihren Lebensalltag. Man trifft auf facettenreiche Persönlichkeiten. Somit muss ein solcher Tisch sehr viele Eigenschaften vereinen. Nachmittags, wenn viele der Bewohnenden aus dem angeschlossenen TagWerk in die Einrichtung zurückkehren, beginnt nach der Kaffeestärkung die erste „Beleef-Runde“.
Der Tisch wird im großen Foyer platziert und nach und nach gesellen sich Bewohnende hinzu. Es fällt auf, dass selbst ein Bewohner wie Norbert, der ansonsten seinen Feierabend mit einem Hauch von apathischer Regungslosigkeit und sozialer Abschottung vor dem Fernseher verbringt, im Eigenantrieb seine Wohngruppe verlässt, um teilnehmen zu können. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht sitzt er am Tisch, schiebt auf dem großen Touchscreen Figuren in die richtige Position und unterstützt einen anderen Bewohner bei dieser Handlung. Plötzlich ist Sozialverhalten erkennbar, das Norbert im Alltag gerne mal versteckt. Eine Beobachtung, die auch Doris Lagarden, Betreuungskraft in Sannum, die das Projekt in der Probewoche begleitet, bestätigt: „Wir können das teilweise apathische Verhalten mit dem Aktivitätentisch durchbrechen, die kognitiven Fähigkeiten verbessern und damit das Wohlbefinden steigern.“ Es erleichtere zudem, „mit den Bewohnenden in Kontakt zu treten“.
Maike, eine Bewohnerin, die im Alltag temperamentvoll auf sich und ihre Bedürfnisse aufmerksam macht und dabei regelmäßig die Strapaziergrenzen der Menschen in ihrer Umgebung touchiert, steuert ein Weilchen später ebenfalls mit ihrem Rollstuhl gezielt den Tisch an. Sie platziert sich in der letzten noch freien Lücke. Mit konzentrierter Miene bewegt sie ihre Finger auf dem Touchscreen, steuert zielgerichtet die Weihnachtskugel an, um den abgebildeten Tannenbaum zu schmücken. Gelegentlich bedarf es einer kleinen Korrektur, die sie selbst durchführt. Dies mindert aber nicht den Stolz, den ihr Blick beim Erreichen des Ziels ausdrückt. Ungewohnt entspannt verbringt sie weitere Zeit am Tisch und spielt mit Norbert, Jutta und Marius einige Runden Memory. Blitzschnell wird die Handhabung des Touchscreens nachvollzogen. Wohlgemerkt es sind alles Menschen, die weder mit Smartphones noch mit Tabletts ihren Alltag verbringen.
Nicht nur die agileren Bewohnenden der Pflegeeinrichtung profitieren von dem Tisch. Jenseits der Nachmittage ist Doris mit dem De Beleef in den Zimmern unterwegs, bei Bewohnenden, die aufgrund von Erkrankungen seltener ihre Zimmer oder Wohngruppen verlassen. Der Tisch wird in die 90°-Kippstellung gebracht und nimmt dann die Gestalt eines großen Fernsehers an. Dank der installierten Räder kann das Gerät ohne großen Kraftaufwand überall platziert werden, auch direkt am Pflegebett. Walther, ein Bewohner, der regelmäßig ängstlich und zurückhaltend wirkt, überwindet nach kurzer Musterung dieses unbekannten Vehikels schnell jegliche Scheu und offenbart motorische Fähigkeiten, die man schon kaum noch erahnen konnte. Langsam entspannt sich seine Körperhaltung, sogar ein kleines Lächeln verdrängt die Ängstlichkeit und zeugt von echter Freude. Es zeigt sich, dass der Tisch auch für die Einzelbetreuung gut einsetzbar ist.
Bei allen Beteiligten werden positive Emotionen erzeugt und bei vielen Bewohnenden sorgen die Aufgaben für eine Stärkung der Motorik, ohne dass der Anspruch zu hoch gesetzt ist. Freude und manchmal auch ein gewisser Stolz sind in den Gesichtern der Bewohnenden ablesbar. Durch eine Vielzahl der angebotenen Eigenschaften, die auch teilweise musikalisch sehr stark auf Erinnungsarbeit konzipieren, ist davon auszugehen, dass das Vergnügen langanhaltend sein kann. Wie nachhaltig aber ein solcher Tisch in einer Pflegeeinrichtung wie der im Gut Sannum tatsächlich sein kann, muss ein langfristiger Praxistest beweisen. Mit seiner Robustheit und den hardwareseitig flexiblen Einstellungsmöglichkeiten erweist sich De Beleef TV als „pflegetauglich“.
Trotz eines ausgereiften Konzeptes gibt es immer noch Entwicklungspotenzial. Das Konzept der sozialen Wand lässt sich theoretisch integrieren. Hier geht es darum, vor allem in Pandemie-Zeiten dynamische Kontakte zwischen Bewohnenden und der Außenwelt auf einem großen Bildschirm zu ermöglichen. Da De Beleef TV mit Internetverbindung ausgestattet werden kann und mit Windows als Plattform arbeitet, wäre dies möglich. Hier muss De Beleef TV aber noch nacharbeiten und die Hardwareausstattung erweitern. Denn es bedarf einer Cam und eines Mikrofons. „Wir planen aktuell, dass die Kamera ab diesem Herbst verfügbar sein wird,“ erklärt Katharina vom De Beleef TV-Team. Man könne jedoch noch nicht sagen, wann diese Erweiterung offiziell auf dem Markt kommen werde. Über einen HDMI-Anschluss lassen sich bis dahin Hardware-Erweiterungen auch so umsetzen, die jedoch die ansonsten intuitive Bedienung des Tisches erschweren.
Möchte man nach einem echten Manko suchen, muss man sich mit dem Preis beschäftigen. De Beleef TV ist wahrlich kein Schnäppchen. Allein bei der Anschaffung ist man mit Investitionskosten im mittelhohen vierstelligen Euro-Bereich dabei, hinzu kommen Kosten für optionale Updates. Nicht ohne Grund kann man direkt eine Crowdfundingkampagne über den Anbieter starten, um die Anschaffung zu finanzieren. Für kleinere Einrichtungen wie eine Demenz-WG dürfte dies der einzige Weg sein, um ans Ziel zu kommen.
Die aufgeführten Namen der Bewohnenden wurden geändert.
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